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Hunger 3 - Bella's Briefwechsel mit dem Leben

Veröffentlicht am 10.08.2015

Mein liebes Leben, ich wollte eigentlich eine Anklageschrift an dich verfassen, doch nun habe ich mit Philipp das Motorradfahren für mich entdeckt und alle Klagen an dich sind für den Moment verflogen.

Während Philipp und ich auf seiner Maschine durch die laue Berner Sommernacht brausten, habe ich mich mit dir versöhnt. Noch ganz berauscht vom Gefühl, dir nah zu sein, habe ich kurzerhand mein altes Solex aus der Garage entstaubt. Nun rase ich die Florastrasse hin und her und fühle dich auf diesem stinkenden und knarrenden Vehikel an meiner Seite. Was meinst du, mein liebes Leben, bist du der Fahrtwind in meinem Gesicht, bist du die Geschwindigkeit, die mir den Atem nimmt?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Deine Bella

 

Liebe Bella, schön von dir zu hören, ich habe nicht damit gerechnet gerade jetzt in diesem Moment! Ich wollte dich besuchen, in deiner Wohnung. Ich stand schon zweimal vor deiner Tür, habe geklingelt, doch es hat niemand geöffnet. Ich habe gewartet, ich glaube, ich habe ziemlich lange gewartet, doch du warst nicht da. Warum entziehst du dich meinen Blicken? Du weißt doch, dass das sinnlos ist. Du entkommst mir nicht. Spätestens in deinem letzten Augenblick, wenn deine Vorstellung von dir selbst als Person dich verlässt, spätestens dann wirst du spüren, dass du dich mit mir vorher hättest versöhnen müssen. Doch glaube mir, in diesem Augenblick wird es zu spät sein!

Bella, du verwechselst das Leben mit Glück! Was für ein törichter Irrtum! Ich habe dich gesehen, wie du in den letzten Tagen jeden morgen in den Wald gegangen bist. Ich habe deine Schreie und dein Wimmern zwischen den Bäumen gehört, habe gesehen, wie du verstohlen deinen Blick gesenkt hast, wenn dir jemand, der ebenso wie du die stillen Morgenstunden gesucht hat, entgegengekommen ist. Du hast mich in diesen Schreien angeklagt und mich verflucht, weil du glaubtest, dass ich dich verlassen habe, weil du dich alleine und von mir getrennt gefühlt hast. Doch du ahntest nicht, dass ich dir in diesen Momenten so nah wie noch nie war. Bella, ich habe deine Tränen gesehen, die sich mit dem Wasser des Flusses in der Schlucht vereinigt haben. Erde, Wasser, Feuer, Luft, das bin ich! Erde, Wasser, Feuer, Luft, das sind Naturgewalten, sie haben mächtige Zerstörungskraft und du bist in ihnen, Bella, du bist in mir!

Mein Name lautet weder Freude noch Schönheit. Du glaubst mir nahe zu sein, wenn du auf einem schnellen Motorrad durch die Nacht braust. Du fühlst dich auf diese Weise verwegen und stark, doch du vergisst dabei, dass ich selbst die Dunkelheit bin. Die Dunkelheit Bella, ebenso wie das Licht, das ist alles. Ich glaube, du erwartest zu viel von mir und möchtest zu wenig von dir geben.

Du machst schöne Fotos von dir, in einem weissen Kleid, mit roten Schuhen, Bella wie hübsch, wie lächerlich! Du fragst mich, ob ich der Fahrtwind bin und solche Kindereien. Bella, was soll das, das Leben ist kein ästhetischer Begriff!? Wo waren deine Schühchen, wo war dein Kleidchen als du dir im Wald deine Seele aus dem Hals geschrienen hast?! Bella, du hast nichts begriffen, ich bin enttäuscht.

Dein Leben