Als ich mich mit meiner eigenen Übungspraxis etwas vertiefter zu beschäftigen begann, merkte ich bald, dass ich oft versucht war, mich selbst in dem was ich tat zu übergehen. Es war zum Beispiel leicht für mich, mich mit gestreckten Beinen vorzubeugen und meine Zehen zu fassen. Ich fühlte mich grossartig in dieser Stellung ohne jedoch wirklich auf meinen Körper und auf die Stimme meiner Seele zu achten.
Beim genauen Hinhören wurde mir klar, dass ich – bei aller Leichtigkeit die ich in dieser Stellung spürte – in meiner Atmung vollkommen blockiert war und dass sich diese Blockade aus einem voreiligen Hineingleiten in den vorgestellten Endpunkt der Stellung ergab. Indem ich auf diese Weise dem Endpunkt zustrebte, überging ich nämlich eine blockierte Stelle im Bereich meiner Hüften. Blockaden äussern sich meist auf ganz subtile Weise, denn in ihnen versucht sich die Seele Gehör zu verschaffen und die Seele bleibt gerne im Verborgenen, sie hat die Dunkelheit geradezu nötig. Um die Seele zu hören, braucht es deshalb ein sehr geschultes Gehör. Aufgrund dieser Erfahrung in meiner Übungspraxis wurde für mich die Frage dringlich, wie ich eigentlich zuhöre – mir selbst und anderen Menschen. Zu dem Zeitpunkt, als ich anfing zu unterrichten, wurde für mich diese Frage natürlich noch dringlicher. Wie höre ich eigentlich anderen zu? Und ich fasste einen sehr hohen Grundsatz für mich. Einen Grundsatz, der mir heute wie damals so hoch gegriffen scheint, dass ich mich nur sehr langsam an ihn annähern werde. Doch ich bin immer noch überzeugt, dass es die einzige Möglichkeit ist, den anderen (und mich selbst) wirklich zu hören wie er es verdient. Der Grundsatz lautet: Höre dem anderen (dir selbst) so zu, als ob er dein Meister wäre der gerade seine letzten geschätzten Worte zu dir spricht.
Ich glaube viele von uns sind eigentlich verborgen. Je weiter ich in meiner Übungspraxis fortschreite, desto stärker realisiere ich, dass ich in einer gewissen Zerrissenheit zwischen zwei Realitäten bin. Auf der einen Seite ist da meine Existenz auf der Welt, welche mich durch Raum und Zeit einschränkt. In dieser Realität gibt es für mich viele Gelegenheiten, meinen Hunger und meine Sehnsucht nach Glück und Zufriedenheit zu befriedigen. Auf der anderen Seite ist da eine Realität des Seins, die über diese Existenz in der Welt hinaus geht. Es ist eine Realität, die ich lediglich erahnen kann. Sie ruft unser Bewusstsein, sie ruft uns zu, spricht zu all unseren Enttäuschungen und Sehnsüchten. Ich verstehe diesen Ruf (noch) nicht in seiner ganzen Mächtigkeit, doch er scheint uns zu hörenden und dienenden Wesen machen zu wollen. Zu Wesen, die dem Göttlichen in uns selbst zu dienen vermögen. Es ist der Ruf – oder ich sollte besser sagen – das Flüstern der Seelen, die ich aus dieser anderen Realität höre.
Eine der schwersten Sünden – und hier ist das Wort Sünde aus meiner Sicht einmal angebracht – ist das ungelebte Leben. Wir führen nicht das Leben, das wir uns sehnlichst wünschen. Vielmehr übergehen wir uns selbst in vielfacher Weise. Wir wohnen sozusagen nicht wirklich in unserem Schicksal. Vieles was uns davon abhält ist jedoch gar nicht real, sondern es sind lediglich Einbildungen unseres Geistes. Die Hindernisse oder Widerstände, vor denen wir zurückschrecken, existieren in Wirklichkeit überhaupt nicht. Dennoch begrenzen sie uns und setzen in gewisser Weise die Grenzen unseres Schicksals fest.
Ebenso wie wir ein sensibles Gehör für die Stimme der anderen wie auch für die eigene Stimme brauchen, sollten wir uns ein Gefühl für das vollkommen bewohnte Leben aneignen. Wenn wir das Leben führen, das wir lieben und nicht jenes, das von uns erwartet wird, wird alles seinen Rhythmus finden, so dass alles was wir tun gut ist.
Vielleicht sollte ich versuchen, den Rhythmus meiner eigenen geheimen Signatur zu finden. Vielleicht habe ich irgendwann oder bereits als ich geboren wurde das Licht meines eigenen Wesens verlassen. Jede Seele ist einzigartig und vollkommen anders. Vielleicht sollte ich das endlich akzeptieren und mich nicht mehr dagegen sträuben. Vielleicht sollte ich endlich damit aufhören, mich – das heisst meinen Körper als Ausdruck meiner Seele – in eine vorgefertigte Form zu zwingen. Vielleicht sollte ich endlich aufhören, meine Individualität zu verraten.
Vielleicht – doch ich bin mir sicher eines tut Not, wir müssen zu unserer Einsamkeit zurückkehren. Wir müssen den Traum wiederfinden, der in unserer Seele verborgen liegt und sich flüsternd durch den Ausdruck unsers Körpers Gehör verschaffen will.
Bella